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Jul 09, 2019

Catastrophe | Das exklusive Interview

Direkt nach ihrem Flug von Paris nach Berlin und vor ihrem Auftritt auf dem Fusion Festival haben sich Catastrophe mit uns für ein exklusives Interview getroffen – die Mitglieder der Gruppe, die sich eher als Performer als als Musiker bezeichnen, haben uns ihr Projekt nähergebracht, uns erzählt, inwiefern sich das deutsche Publikum von anderen unterscheidet, für uns improvisiert und uns in ihre Welt entführt. Viel Spaß!

Schön, dass ihr euch für uns Zeit genommen habt – könnt ihr euch und eure Idee kurz vorstellen?

Wir heißen Catastrophe und unsere Gruppe besteht aus sechs Mitgliedern. Allgemein versuchen wir, Dinge und Projekte zu realisieren, die wir spannend finden, die uns anregen, uns inspirieren. Wir arbeiten genreübergreifend – musikalisch, theatralisch, visuell und haben diesbezüglich keine Grenzen. Wir haben keine “Philosophie“ per se, aber versuchen, so unvorhersehbar und überraschend wir möglich zu sein. Allgemein könnte man sagen, dass die „Unvorhersehbarkeit“ eine sehr wichtige Rolle für uns spielt. Wir versuchen unser Publikum und auch uns selbst immer wieder zu überraschen, so frei und aufgeweckt wie möglich zu sein und dabei der Popmusik treu bleiben – das heißt, dass wir trotz unserer sehr eklektische Herangehensweise versuchen, zugänglich bleiben. Wir denken weniger in Kategorien; das was uns wirklich anspricht, sind Ideen. Wir versuchen, Dinge zu kreieren, die noch nie vorher da waren oder noch nie auf eine bestimmte Weise gemacht wurden. Wir wollen Dinge erforschen.

Das heißt, ihr seht euch in erster Linie als Musiker statt als Performer?

Ja, auf jeden Fall. Wir sehen uns eher als ein Künstlerkollektiv als eine Band – gemeinsam mit unserem Publikum wir schaffen Momente, die man so nicht erwartet hätte. Wir spielen keine Konzerte, bei denen man vorher schon weiß, was passiert – wir kreieren Performances. Die Idee der Performance beinhaltet auch das stark Körperliche, worauf wir einen großen Fokus legen. Wir tanzen, wir versuchen Grenzen zu überschreiten. Im Rahmen eines Konzertes kommen immer die unterschiedlichsten Menschen zusammen – mit diesen Menschen wollen wir etwas Bizarres, Überraschendes schaffen und erleben.

Wie übertragt ihr diese Energie auf Platte?

Das ist eine sehr gute Frage, die uns vor allem derzeit sehr beschäftigt. Das erste Album haben wir im Studio aufgenommen und anschließend vor Publikum gespielt. Dann haben wir gemerkt, dass sich im Rahmen der Konzerte extrem viele interessante, vielversprechende Möglichkeiten ergeben, vor allem auch auf musikalischer Ebene. Auf dem zweiten Album machen wir das deshalb genau anders herum – wir nehmen die Songs auf, während wir sie live spielen und bringen dann das, was am Besten vor und mit dem Publikum funktioniert hat, was sie zum lachen, tanzen etc. gebracht hat, auf Platte. Das was erst richtig interessant ist, ist das, was über die Noten hinaus geht und sich hinter den Strukturen abspielt. Auf jedem unserer Konzerte passiert immer etwas  Mysteriöses, schwer Greifbares, Unsichtbares – aber genau das ist interessant und wir versuchen, das auf Platte zu bringen, wir jagen diese Momente buchstäblich. Wir sind richtige Jäger (lachen).

Die Botschaft, die durch Ihre Texte vermittelt wird, spielt eine wichtige Rolle in eurer Musik – wie passt ihr euch an ein Publikum an, das kein Französisch versteht, und auf welche anderen Weisen versucht ihr, eure Weltsicht zu vermitteln?

Wir passen uns an, wir schreiben unsere Texte um, singen einige Passagen auf der jeweiligen Landessprache. In Japan beispielsweise haben wir simultan übersetzen lassen, was sehr schön war. Wir haben jemanden aus dem Publikum auf die Bühne geholt, um unsere Texte direkt übersetzen zu lassen, und daraus ist etwas sehr Interessantes, beinahe schon Poetisches entstanden.
Wir beginnen unsere Konzerte außerdem immer damit, die Menschen nach ihren größten Ängsten zu fragen, die wir danach vorlesen und in etwas Neues, Aktives verwandeln. In Japan haben wir die größten Ängste vom japanischen ins Französische übersetzt , wodurch manche Bedeutungen verloren gingen, sozusagen „lost in translation“, was aber auch schön war, da man nicht alles direkt verstanden hat und auch manche Dinge für einige im Dunkeln blieben. Auch im Französischen gab es natürlich Dinge, die man nicht übersetzen konnte – aber das ist nicht schlimm, das kreiert eine neue Dimension.

Ist es für euch wichtig, eure Musik und eure künstlerische Vision auch außerhalb Frankreichs bekannt zu machen?

Ja, sehr. Das ist essentiell für uns. Denn wir haben den Eindruck dass das, was wir machen, nicht unbedingt typisch französisch ist. Dieses Element des Performativen, Transdisziplinären, das man nicht unbedingt mit der französischen Kultur verbindet; was den Humor, das Absurde betrifft, gehen wir eher ins anglo-sachsische, außerdem verwenden wir Soul- und Gospel-Elemente. Außerdem haben wir eine ziemlich amerikanische Herangehensweise innerhalb unserer Choreographien, die sogar einen Touch Musical besitzen. Das Universelle, was uns verbindet, ist die Energie. Deshalb tanzen und performen wir auch so viel auf der Bühne, da das wirklich eine universelle Sprache ist.
Das Publikum in England hat jedoch unseren englisch-angehauchten Humor direkt verstanden, die Menschen haben direkt verstanden, was passiert. Der Humor funktioniert an einigen Orten besser als an anderen. Auch was die Farben betrifft, ist die Reaktion von Land zu Land unterschiedlich. Unsere Farben haben die Menschen in Japan beispielsweise direkt angesprochen. Das zeigt, dass die verschiedenen Elemente unserer Performance in unterschiedlichen Ländern einen anderen Wert haben – mal sehen, was in morgen passiert!

Habt ihr schon Konzerte in Deutschland gepielt?

Ja, wir haben einige Konzerte in München gespielt. Was in Deutschland interessant war, waren die Ängste der Menschen, die im Vergleich zu den anderen Ländern sehr besonders und vor allem sehr politisch waren. Es war auffällig, wie sehr die Angst vor einem erneuten totalitären Regime herrschte, während diese Art von Angst in Frankreich beispielsweise sehr selten zu finden war – die Menschen machen eher Witze, wenn man sie nach ihren Ängsten fragt, während das Publikum in Deutschland diese Fragen ernster nimmt. Es sind allgemein vor allem die Ängste, an denen wir die größten Unterschiede von Land zu Land erkennen.

Was bedeutet deutsche Musik für euch? Habt ihr irgendwelche musikalischen Einflüsse, die aus Deutschland kommen oder aktuelle Favoriten?

Ja, definitiv! Von Johann Sebastian Bach bis Nina Hagen oder Kraftwerk – letztere nicht unbedingt auf musikalischer Ebene, aber was vor allem den ästhetischen Ansatz von Kraftwerk betrifft. Außerdem die Songs, die Bowie in Berlin geschrieben hat und ein wenig die deutsche Elektro -Szene, da auch wir an DJ-Sets arbeiten, bei denen wir zu sechs hinter den Plattenspielern stehen.

Habt ihr ein bestimmtes Ritual, bevor ihr auf die Bühne geht?

Das haben wir, aber wir können nicht auf die Details eingehen, da der ganze Ablauf natürlich geheim bleiben soll. Im Großen und Ganzen kreieren wir zusammen ein Energiebündel und dank unserer Kostüme, die alle eine andere Farbe besitzen, ergibt das am Ende eine neue, nicht existente Farbe. Daraus ziehen wir unsere Energie, die wir auf der Bühne transportieren. Gerade die Farben spielen bei uns eine große Rolle, da wir keine homogene Gruppe bilden, sondern jeder von uns seine eigene Farbe trägt und dies so die einzelnen Individuen und Persönlichkeiten unterstreicht. In unserem nächsten Projekt wollen wir diese individuellen Rollen noch ausbauen – mehr dürfen wir leider noch nicht verraten.

Merci Catastrophe, es bleibt also spannend!