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Sep 06, 2022

Reeperbahn Festival 2022 | Die diesjährigen „made in France“ Acts

Das Reeperbahn Festival verbindet vom 21. – 24. September 2022 in seinem Programm ein vielfältiges Line-Up neuer, internationaler Talente mit der Themenvielfalt eines progressiven Musik-Marktplatzes. Veranstaltungen unterschiedlichster Art warten darauf, in zahlreichen Venues Fans, Journalist*innen und Fachbesucher*innen mitzureißen und zu begeistern. Seit dem Debüt im Jahr 2006 hat sich das Reeperbahn Festival zu einem der wichtigsten Treffpunkte für die Musikwelt entwickelt und zeigt, wie sich ein überbordendes musikalisches Line-Up mit musikwirtschaftlichen Interessen und zivilgesellschaftlichem Engagement verbinden lässt.

16 Konzerte und Showcases von ‚made in France‘ Künstlern und Künstlerinnen stattfinden und außerdem zwei französische Filme zum ersten Mal in Deutschland gezeigt. Über einige haben wir auch in unserer September-Podcastfolge gesprochen und in einem Interview erfahren, wie Taxi Kebab auf ihren Namen gekommen sind.

Mittwoch

Koki Nakano

Seine Musik ist ein Tanz auf den Tasten, der von sanften Anstößen bis zu irrwitzigen Stakkatos taktiert, Sehnsucht ebenso wie Gefühle der Entgrenzung zu beschwören vermag. Mehr denn je gelingt Koki Nakano das auf seinem diesjährigen Album Oceanic Feeling, das post-minimalistisches Harmoniedesign mit Kammerjazz und einem emotional bewusst unklaren Gestus versieht. Je nach Stimmung, je nach Umgebung löst Nakanos Klangsprache dadurch andere Reaktionen in denjenigen aus, die aufmerksam lauschen.

anaïs

Gerade einmal zwei Jahre nach ihrem ersten musikalischen Lebenszeichen im Netz, der Single „My World So Blue“, ist Anaïs auf dem besten Weg ihren eigenen Anspruch an Popmusik aus Deutschland geltend zu machen: Eingängig und mitreißend klingen, modern und eigenständig agieren ohne sich in Beliebigkeit zu verlieren. Außergewöhnliche Produktionswerte, ein glasklares Timbre und zeitgemäße Arrangements zwischen elektronischem Pop, Downtempo und sanften Soul-Anleihen machen das möglich. Die Sängerin ist am Donnerstag ein zweites Mal zu hören.

Ladaniva

Einflüsse aus aller Welt vereinen Ladaniva zu rhythmischen Gemälden, die von Verständigung und Gemeinschaft, aber auch von der Schönheit aller Kulturen dieser Welt erzählen. Genau diese Vielfalt durchströmt auch Songs wie „Vay Aman“ oder „Kef Chilini“, mit denen das Duo binnen kürzester Zeit Millionen von Streams auf einschlägigen Plattformen erreichte. Vor allem in Armenien, Frankreich und Südeuropa haben sich Ladaniva während der letzten zwei Jahre eine treue Fangemeinschaft erspielt und Konzerte in allen möglichen Settings gegeben – ob Hausdächer, Strandbars, Clubs oder Parks.

Quinzequinze

Wie reich und grenzenlos menschliche Ausdrucksformen sein können, zeigen QuinzeQuinze gleich zum Beginn ihres kreativen Schaffens auf phänomenale Weise. Ihre erste EP Nevaneva kündigte mit einem gleichnamigen Kurzfilm und spektakulären musikalischen wie visuellen Qualitäten das Anliegen des Quintetts bereits überdeutlich an: Realität und Rausch, Trip und Traum ineinander fallen zu lassen, auf allen Ebenen der Wahrnehmung. Völlig unverbrauchte Musik, die gleichzeitig jung, modern und mit kritischem Bewusstsein ausgestattet ist.

Taxi Kebab

Orientalischer Electro-Funk aus dem Norden Frankreichs, der problemlos alle kulturellen Grenzen transzendiert und sich von arabischen Tonleitern ebenso wie von Techno-Beats inspirieren lässt – Taxi Kebab haben eine Formel gefunden, mit der sie diesen vierdimensionalen Stilspagat mit Verve aufs Parkett pfeffern. Ultratanzbar wechselt das Taxi Kebab die Spuren zwischen Electropop, Funk, House und arabischen Einflüssen von Fairuz und den Rahbani-Brüdern bis Omar Souleyman, ohne je falsch abzubiegen.

 

Donnerstag

Lola Marsh

Manchmal reicht eine Schnapsidee auf einer Geburtstagsfeier und eine zufällig herumstehende, kaputte Gitarre, um eines der interessantesten Projekte eines Landes ins Leben zu rufen. Gil Landau und Yael Shoshana Cohen haben genau das hinter sich. Ihr jüngstes Album Someday Tomorrow Maybe (2020) demonstriert eindrücklich, dass der leicht psychedelische 60s-Style von Lola Marsh viel Spielraum für Einflüsse aus Synthpop und Indie-Folk bietet, die sich makellos ans eingängige Gesamtkonzept schmiegen.

November Ultra

Der Name inspiriert von Frank Oceans Mixtape „Nostalgia, Ultra“, der Sound beseelt vom spanischen Großvater, von den Songwriting-Ikonen der 60er und ihre Bühnenpräsenz untermalt von einer einzigartigen Charakterstärke – November Ultra ist eine Sängerin, wie sie nur einmal in einer Dekade vorkommt. Bestenfalls. Kunst umgibt und durchdringt ihr Leben seit jeher, was auf ihrem diesjährigen Debütalbum Bedroom Walls in jeder Silbe hörbar ist.

Lydsten

Kühl und glasklar produziert, hat der Sound von Lydsten die majestätische Natur Skandinaviens tief in die musikalische DNA tätowiert – das wird auch im Namen klar: Der bedeutet so viel wie „Klangstein“ auf Dänisch. Einerseits baut Lydsten aus futuristischen Samples äußerst eingängige Techno-Rhythmen auf, die auch mit Breakbeats arbeiten und Melodien wie Sommernachtsträumen hinterherjagen. Wie die letzten Morgenstunden eines Raves an einem einsamen Nordseestrand oder die Begleitmusik für eine Aufzugfahrt zum Mond.

French 79

Als French 79 macht Simon Henner schon seit einigen Jahren exquisiten Progressive House, der Elemente von Electropop und Synthwave integriert und zu einem tanzbaren Ganzen verbindet. Von den ersten beiden Alben Olympic (2016) und Joshua (2019) bis zum jüngsten Banger „4807“ entwickelte sich der Style des Franzosen stets weiter ohne je die üppigen Produktionswerte zu kompromittieren, die Crowds auf dem ganzen Planeten zu seinen Gigs ziehen.

Tapeworms

Grenzenlosen Spaß am Experiment haben die Tapeworms zweifellos. So münzen Margot, Théo und Eliott die Verwerfungen in ihren persönlichen Biografien, die bei anderen oft zu Resignation führen, in kreative Energie um und kanalisieren das Ganze in einen furiosen Stylemix ohne Beispiel. Was wie eine wilde, ausgefranste Mixtur klingt, ist es auch – und dennoch finden die Tapeworms auf ihrem Debüt Funtastic (2020) einen Weg, all ihre Einflüsse zu einem kohärenten, stellenweise sogar sommerlichen Gesamtbild zu formen.

Pongo

Kuduro und Rap, Samba-Soul und Moombahton sind die frühen Einflüsse, welche den Style von Engrácia Domingues prägen. Fortan nennt sie sich nur noch Pongo – eine Hommage an eine feministische Sängerin aus dem angolanisch-kongolesischen Grenzgebiet, die 1990 verstarb. Unter diesem Alias beginnt sie, einen energiegeladenen Mix für Clubs und Festivals zu entwerfen, der ekstatische Tänze mit scharfen Rap-Bars verbindet und nunmehr seit drei Jahren sowohl im Süden Europas als auch hierzulande für schweißgebadete Partynächte sorgt.

ATOEM

Gabriel Renault und Antoine Talon sind Alchemisten und Technologen, dem musikalischen Live-Experiment aber auch den maschinellen Grundlagen verschrieben. Als ATOEM entwerfen die beiden Produktionen von geradezu filmischen Ausmaßen, die an den Übergängen von Ambient Techno, französischem Tech-House und lieblicher Synthpop-Dramatik ineinander diffundieren. ATOEM sind mittlerweile berüchtigt für audiovisuelle Konzerterlebnisse, die zugleich futuristisch und dennoch absolut zeitgemäß sind. Vergessen unmöglich.

Temps Calme

Als Antithese zur ungebremst in die Katastrophe schlitternden Gegenwart ist nicht nur der Bandname von Temps Calme zu verstehen. Auch der Sound des französischen Trios nutzt eine bewährte Klangpalette, um dem Wahnsinn unserer Zeit etwas entgegenzusetzen – Progressive Electronic, Krautrock, psychedelischer Pop und tonale Experimente aus allen möglichen unerwarteten Richtungen zeichnen ein Kopfkino, in das diese Band wieder und wieder neue Szenarien einarbeitet, andere Kulissen, ungewohnte Bilder – manchmal verträumt, dann aber wieder ganz luzide.

 

Freitag

Flèche Love

Leichtfüßig wie eine Gazelle verwebt Amina Cadelli Musikstile verschiedener Kontinente und Epochen zu einer Soundsprache, die von Anfang an ihre ganz eigene war. Als Flèche Love hat sich das singende und tanzende Multitalent unter Enthusiasten von modernem Art Pop und R’n’B bereits einen Ruf als höchst experimentierfreudige Newcomerin erstritten, die keinerlei Wert auf Konventionen legt. Doch erst wer Tracks wie „Umusuna“ oder „Bruja“ gehört und die dazugehörigen Videos gesehen hat, versteht tatsächlich das Level auf dem diese Frau neue künstlerische Pfade erschließt.

 

Samstag

Al Qasar

Es war die tiefe Liebe für orientalischen Psychedelic Pop aus den 1960ern und 70ern, die Thomas Bellier dazu bewegt, Al-Qasar ins Leben zu rufen. Transkulturell erdacht und entstanden, ist das Debütalbum Who Are We? ein Spiegel moderner Gesellschaften, in denen Musik respektive Kunst generell stets einem Amalgam unterschiedlichster Traditionen entspringt – und daran wächst und gedeiht. Eine Supergroup im Startblock.

 

YellowStraps

YellowStraps wurde von den Brüdern Yvan und Alban Murenzi in Brüssel gegründet und steht für einen modernen Neo-Soul-Entwurf, der unter die Haut geht und stolz von der belgischen Rap-Szene (Romeo Elvis, Le Motel, L’Or duCommun usw.) seit der ersten Stunde unterstützt wird. Auch das Berliner Colors-Format gehört zu YellowStraps frühen Supportern. Mit dem bald erscheinenden Projekt verwandelt sich das Duo in einen Solo-Act (Alban geht, Yvan bleibt) und erweitert die musikalische Ausrichtung, ohne die DNA in seinem Kern zu verleugnen

 

Neben den Konzerten internationaler Künstler*innen, umfasst das Programm auch Formate aus der Bildenden Kunst oder Virtual Reality sowie ein thematisch vielfältiges Film- und Literaturangebot. Zentraler Dreh- und Angelpunkt ist hierfür das Festival Village auf dem Heiligengeistfeld. Im Rahmen von Sessions, Showcases, Networking Events und Award-Shows können Fachbesucher*innen des Reeperbahn Festivals Musik neu denken, erleben und: hören. Auch das Centre national de la musique, das hinter der Marke What The France steht, ist mit dabei.

Die Filme

Pour De Vrai / For Real

Vom provokativen Gangsterrapper zum soften Singer-Songwriter – Ichon, mit bürgerlichem Namen Yann-Wilfred Bella Ola, erfindet sich neu. ‚Pour de Vrai‘ ist der Titel seines ersten Soloalbums und Pour de Vrai (For Real) heißt auch der Dokumentarfilm von Regisseur und Musikvideoproduzent Ugo Mangin, der Stilikone Ichon bei seiner Transformation begleitet. In MiniDV-Ästhetik werden ungewöhnlich intime Einblicke in das krisenhafte Seelenleben des Mannes und Künstlers Ichon gewährt, der sich in Psychotherapie begibt und von seiner Mutter coachen lässt. Momente des Selbstzweifels wechseln augenscheinlich skurrile Szenen ab, etwa wenn Ichon von begeisterten Fans in der Vorstadt auf explizite Inhalte angesprochen wird. For Real kreist um nichts weniger als die essentielle Frage, was künstlerische Freiheit heute sein kann.

 

Le Monde de Demain

Pionier DJ Dee Nasty, das Trio aus Kool Shen, JoeyStarr und DJS, das zur bahnbrechenden Supergroup NTM wird, die Tänzerin und Graffiti-Künstlerin Lady V sowie die rebellische Béatrice sind die Protagonist*innen dieser explosiven Seriensaga – die preisgekrönte Serie DIE WELT VON MORGEN fängt den Urknall der französischen Hiphop-Bewegung der späten achtziger Jahre ein. Mit den großen Namen der US-Szene als Idole und einem Fundament aus Graffiti, Breakdance, Rap und DJing errichtet eine neue Generation ihre eigenen Tempel in den Pariser Vororten. Als mitreißende Momentaufnahme der Geburtsstunde einer neuen kulturellen Bewegung, die einer marginalisierten Jugend Stimme verleiht, ist die Arte-Serie ein erzählerisch überbordendes Energiebündel.

 

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Events

France @ Reeperbahn Festival 2022

The Reeperbahn festival is an international event, held from September 21 to 24, 2022. Jetzt hören